Das "Schmöllner Nationalgericht"
Thüringen ist weit über seine Landesgrenzen hinaus und sogar außerhalb Deutschlands für seine kulinarischen Spezialitäten bekannt. Wer kennt sie nicht - die Thüringer Klöße oder die Thüringer Rostbratwurst. Auch über den Schmöllner Mutzbraten wurde schon viel berichtet. Zahllos sind die Versuche, die Herkunft des "Nationalgerichtes" dieses Landstriches und seines Namens zu klären. Jedoch über die Gerätschaften, auf denen diese Delikatesse zubereitet wird, vernahm man bisher wenig. Dabei tut sich gerade hier ein Stück Geschichte auf, das Einblick in Entwicklungen unserer Zeit gibt. Am Beginn des vergangenen Jahrhunderts, als die ersten Mutzbraten in Schmölln öffentlich angeboten wurden, war der Mutzbratenstand, wie die Schmöllner ihren Mutzbratengrill nennen, eine recht einfache Konstruktion. Vier im Rechteck in den Boden gesteckte Stäbe mit seitlichen Auflagen für die Spieße - das war alles, was gebraucht wurde. Lediglich lange Pfannen, zum Auffangen des herabtropfenden Fettes unter die Spieße gestellt, komplettierten die Einrichtung. Das Birkenholz brannte wie ein Lagerfeuer in der Mitte. Die Fleischspieße wurden mit der Hand gedreht. Die Hitze und der Rauch des Feuers setzten den Gehilfen an den Spießen je nach Windrichtung mitunter gehörig zu. Meist waren das Kinder, die zum Lohn für ihre mehrstündige Arbeit einen Mutzbraten kostenlos erhielten. Diese Bauform blieb Jahrzehnte fast unverändert. Aufgrund der offenen Bauweise der Grillgeräte brauchte ein guter Mutzbraten damals ca. zwei bis zweieinhalb Stunden, bis er durchgebraten war. Gut dosiertes Feuer sowie langsame und gleichmäßige Drehbewegung sind das Erfolgsrezept, das jedoch im reinen Handbetrieb nur unter großen Mühen zu verwirklichen ist. Das eigentliche Grillgut - der Mutzbraten - hat sich seither nicht mehr verändert, denn der delikate Geschmack, der hauptsächlich vom einzigartigen Aroma des Birkenholzrauches herrührt, ist wohl kaum noch zu verbessern. Mit dem Aufkommen von elektrischen Getriebemotoren in den sechziger Jahren traten allerorts Bastler und Tüftler auf den Plan, die sich zum Ziel setzten, die Zubereitung der Mutzbraten effektiver und angenehmer zu gestalten. Im Auftrag von ortsansässigen Fleischereien entstanden in den Industriebetrieben der Stadt Schmölln Mutzbratengrills, bei denen die Spieße elektrisch angetrieben wurden und die zum Teil Ausmaße annahmen, dass gleichzeitig weit über hundert Portionen gleichzeitig garten. So mancher Volkseigene Betrieb (VEB) konnte so seine Belegschaft zum Beispiel zur Demonstration am 1. Mai locken, wenn er danach zum Mutzbratenschmaus in die Betriebskantine einlud. Die Konstruktionen wurden immer professioneller; teilweise entstanden sie sogar regelrecht auf dem Reißbrett. Die metallverarbeitende Industrie von Schmölln bot -wenn auch nicht gerade als offiziellen Bestandteil der Planwirtschaft- die Möglichkeiten, die Mutzbratengrills aus "Überplanbeständen" und "nach Feierabend" für den Eigenbedarf zu fertigen. Warum kein Betrieb auf die Idee kam, solch einen Mutzbratenstand planmäßig als Konsumgut zu produzieren, bleibt bis heute eigentlich ein Rätsel. Doch auch der private Bastler, der aufgrund eines anders gearteten Berufes nicht die Möglichkeiten hatte, auf die Maschinen und Werkzeuge eines VEB zurückzugreifen, wollte nicht nachstehen. In mancher Heimwerkerwerkstatt entstanden Grillgeräte, die von der Größe her dem rein privaten Gebrauch zugedacht waren. Zur Standardausrüstung gehörte der Antrieb über einen Scheibenwischermotor vom Trabbi und die Kraftübertragung mittels Zahnkranz und Fahrradkette zu den Spießen. Die Stromversorgung des Motors übernahm das Batterieladegerät. Begabte Bastler legten mitunter kleine Serien auf, um auch Interessenten zu bedienen, die im Gegenzug mit anderen Leistungen aufwarten konnten. Die so entstandenen Mutzbratengrillgeräte wurden unter Freunden und Nachbarn ausgeliehen, jedoch waren sie meist noch so sperrig, dass zu ihrem Transport ein PKW-Anhänger notwendig war. In den siebziger und achtziger Jahren erreichte damit der Mutzbraten als Delikatesse nahezu jedes Gartenfest sowie Sportvereinsfeste, Brigadeabende, Familienfeiern oder auch spontane Zusammentreffen in der Nachbarschaft im Sommer. Keinen Fleischer in Schmölln oder Umgebung gibt es, der nicht Bescheid wüsste, wenn ein Kunde Mutzbraten bestellt. Fertig geschnitten und gewürzt gehören sie hier ins Angebot wie Hackepeter oder Leberwurst. Die Wende 1989/90 setzte der Produktion der Grillgeräte in den VEB ein jähes Ende und auch die Heimwerker wurden bald von wichtigeren Sorgen geplagt. Ungebrochen ist jedoch die Liebe zum Mutzbraten allerorts. Diese Lücke füllt nun ein professioneller Anbieter, in dessen Auftrag drei Typen von Mutzbratengrills in einem Betrieb der Region in Serie produziert und im eigenen Hause vertrieben werden. So ist abgesichert, dass die Produktion und der Vertrieb am Ursprungsort des Mutzbratens verbleibt. Gegenwärtig werden 3 Typen angeboten, die für 14, 28 oder 52 Portionen ausgelegt sind. Durch die Verfügbarkeit von speziellen Grillmotoren, die sogar über normale Taschenlampenbatterien betrieben werden können, vereinfachte sich die Konstruktion soweit, dass die Mutzbratengrills zerlegt und in Aktenkoffergröße transportiert oder gelagert werden können. Diese Vorteile, gepaart mit dem günstigen Preis, lassen heute viele Interessenten Abstand vom Eigenbau nehmen. So wurden in den vergangenen Jahren viele tausend Stück aller Typen verkauft. Inzwischen beschränkt sich der Bedarf nicht mehr nur auf die Umgebung von Schmölln, sondern erstreckt sich auch auf entferntere Gebiete. Bayrische Biergärten, badische Weinstuben, Gaststätten an der Mecklenburger Seenplatte oder im Berliner Raum sowie ausgewanderte Schmöllner in aller Welt gehören zu den Abnehmern. Für solche Kunden wurde deshalb der Versand des Mutzbratengrills per Nachnahme begonnen. Für gewerbliche Abnehmer wie Fleischereien oder Cateringunternehmen werden inzwischen auf Anforderung auch verschiedene Typen von Großgrillgeräten für den Einsatz bei Volksfesten, Betriebsfeiern oder in mobilen Imbisseinrichtungen gefertigt. Ein Mutzbratenstand dieser Ausführung kann –je nach Kundenwunsch- bis zu 300 Portionen fassen. In Anbetracht der Tatsache, dass der Vertrieb bisher nahezu ohne aufwändige Werbung gelang, kann man von einem vollen Erfolg dieser Idee sprechen, die inzwischen Arbeitsplätze auch beim Produzenten schaffen konnte und damit einen Beitrag zur Lösung des drängendsten Problems unserer Region leistet.